SwissPeaks 360

„There comes a time in a race like this when it feels like the end may never come
and there were many times when the end could not come soon enough.
But despite the discomfort after days of continual motion with little sleep i kept reminding myself to soak it all in because soon it would indeed all be behind me.“

– Jeff Pelletier

Inhalt:

Vom Gletscher zum See
Tag 0: Anreise und Check-in
Tag 1: Ein Abenteuer beginnt
Tag 2: Zwei Nächte ohne Schlaf
Tag 3: Hilfe kommt
Tag 4: Zwischen Zombieläufern und einer dritten Nacht
Tag 5: Die Gemeinschaft zerbricht
Tag 6: Alles hat ein Ende

Vom Gletscher zum See

Der SwissPeak 360 ist ein Ultra-Trail-Lauf von Oberwald nach Le Bourveret am Fuße des Genfer Sees, dieses Jahr in seiner siebten Ausgabe. Die Route verläuft durch die Schweizer Alpen im Kanton Wallis und führt durch spektakuläre Landschaften über steile Bergpässe bis hin zu Gletschern und Bergseen. Die ursprüngliche Strecke von 365 Kilometern und 25900 m D+ | 26900 m D- wurde dieses Jahr, aufgrund von neuen Naturschutzgesetzen, die das Laufen in der Nacht in Bestimmen Regionen verbieten, auf 380 Kilometer und 26.450 m D+ | 27450 m D- erweitert. Um gut durchzukommen waren an der Strecke 32 Verpflegungsstationen organisiert, darunter 6 Lifebases an denen die Läufer zusätzlich Schlafen, Duschen, medizinische Hilfe wie Fußpflege und Physiotherapie/Massagen rund um die Uhr in Anspruch nehmen konnten. Teilweise wurde das ganze durch Akupunktur und Osteopathie ergänzt. Das Zeit Limit war auf 159 Stunden angesetzt, wobei es an bestimmten Stationen Cut-off Zeiten gab, die die Teilnehmer einhalten mussten, um nicht aus dem Rennen genommen zu werden. Das Startgeld betrug 890 €.

Profil und Karte:

Tag 0: Anreise und Check-in

Die Sachen waren seit gestern gepackt, die Aufregung kam langsam hervor und ich stieg samstags früh in den Zug der mich über München und Zürich ins Wallis befördern sollte. Schon im Zug versuchte ich so viel wie möglich zu schlafen da ich wusste das ich in der nächsten Woche nur sehr wenig davon bekommen würde. Natürlich gab es auf deutscher Seite wieder Verspätung und ich kam eine Stunde später als geplant in Fiesch an. In Fiesch wollte ich meine Startunterlagen abholen und außerdem war hier für 18:30 noch eine Pasta-Party angesetzt. Zusätzlich war Fiesch Zwangs Stopp für die Läufer des SwissPeaks 660, welche morgen zusammen mit den 360er starten würden, und unsere erste Lifebase für morgen. Ich verließ also mit einigen anderen Läufern den Zug und wir marschierten die wenigen hundert Meter zum Check-in. Hier traf ich Michael und Marcel, beide hatten den 360er schon einmal gefinisht und Marcel war in diesem Jahr bei dem 660er dabei und sah noch recht fit aus dafür das er schon 300 km in den Beinen hatte. Ich löcherte beide, während wir in der Warteschlange standen, mit Fragen da die beiden die ersten waren, die ich traf, welche eine solche Ultra-Distanz schon einmal bewältigt hatten.

Am Check-in gab es nach einer Identitäts- und Ausrüstungskontrolle einen GPS-Tracker, einen Zeitmesser und eine Follower-Tasche. Die Follower-Tasche war eine 50L Tasche die wir mit unseren persönlichen Sachen füllen konnten und uns an jeder Lifebase erwarten würde.

Wir hingen anschließend noch ein wenig herum, tauschten Laufgeschichten aus und gingen zusammen zum Pastaessen. Ich aß so viel wie möglich und verabschiedete mich eine Stunde später um im Hotel für eine letzte ruhige Nacht einzuchecken. Im Hotelzimmer sortierte ich meine Sachen, packte meinen Laufrucksack und Follower-Tasche, legte meine Laufkleidung für morgen bereit und machte um 20:30 das Licht aus.

Tag 1: Ein Abenteuer beginnt

Ich wachte schon um 4:30 auf, döste aber noch bis 06:30 vor mich hin, bevor ich mich unter die Dusche stellte, mich Anzog, noch eine letzte Ausrüstungskontrolle, ein einfaches Frühstück im Hotel und anschließend in den Zug zum Start nach Oberwald. Der Zug war voll mit anderen Läufern und es herrschte eine leicht angespannte Atmosphäre in der halben Stunde fahrt. In Oberwald angekommen, übergab ich meine Follower-Tasche und meinen Reisekoffer der direkt nach Le Bourveret transportiert wurde und ich fragte mich, ob ich es wirklich zu Fuß dort hinschaffen würde um diesen auch wieder abzuholen. Ich hatte noch ein wenig Zeit bis zum Start um 10 Uhr und so schaute ich mich in der Starterhalle um. Überall lagen Läufer vom SwissPeaks 660 auf dem harten Hallenboden verteilt und schliefen. Ich entdeckte einen reichhaltigen Frühstückstisch und gönnte mir ein zweites Frühstück zusammen mit einem Läuferpärchen die Ihren zwanzigsten Jahrestag mit dem Lauf feiern wollten.

30 Minuten vor dem Start wurden wir alle aufgefordert uns an die Starterlinie zusammenzufinden. Die Läufer des 660er durften 1 Minute vor den 360er starten und wurden unter Applaus verabschiedet während wir kurz danach folgten, und ich meine Reise mit den ~260 anderen Teilnehmern bei schönstem Sonnenschein antrat. Um das ganze nicht zu schnell anzulaufen, reihte ich mich hinten ein so das ich automatisch von den Läufern vor mir gestoppt wurde, Zeit zu pushen sollte ich ja die nächsten Tage noch genug haben.

Die ersten Kilometer ging es über flowige Trails und ich fühlte mich gut. Bis auf einen Amerikaner, der wie ein Wasserfall redete, wurde kaum gesprochen, jedoch sorgte ein Läufer der seine Ukulele an einen seiner Stöcke befestigt hatte für musikalische Unterhaltung. So ging es bis zur zweiten Verpflegungsstation bei km 28 an der ich 15 Minuten Pause machte. Auch wenn es hier bis auf Suppe keine warmen Speisen gab war die Auswahl sehr reichhaltig von verschieden Käse, Wurst, Brot und Schokoladen Sorten bis hin zu verschieden Säften und Softdrinks. Auch ein Volunteer der unsere Stöcke entgegennahm, und diese nach Startnummern sortierte, stand zur Verfügung.

Gestärkt machte ich mich auf um den Pass Chummerfurgge auf 2656 m zu erklimmen der mich von der ersten Lifebase in Fiesch bei KM 50 trennte. Oben am Pass angekommen ging es einige Kilometer auf einer Hochebene entlang und wir genossen eine fantastische Aussicht auf die vielen Gletscher des Wallis um uns herum. Auf einfachen Wegen runter nach Fiesch unterhielt ich mich mit einem Belgier der letztes Jahr aufgrund von einer Knieverletzung bei KM 150 abbrechen musste und wir holten einen Römischen Centurio ein, der sich wohl in der Zeit verlaufen hatte.

Ich erreichte Fiesch bei Einbruch der Dunkelheit aß nochmal die gleiche Pasta wie gestern und machte mich für meine erste Nacht bereit. Eine Stunde später verließ ich die Lifebase zusammen mit einem Franzosen und eingeschalteter Stirnlampe und es ging in die erste Nacht. Es ging mir weiterhin gut beim Aufstieg zum Furggerchäller (2430 m), aber das galt nicht für alle. Auf dem Weg nach oben liefen mir bereits 2 Läufer entgegen und ich entdeckte immer wieder Läufer die erschöpft am Wegesrand saßen, was mich für die erste Nacht doch etwas wunderte. Eine Japanerin überholte uns, Sie sollte mir noch in Erinnung bleiben, und wir disktuierten wieviel Schlaf man bräuchte um das Rennen zu finishen.

Ich erhöhte das Tempo, ließ meinen Laufpartner hinter mir, und folgte den Stirnlampen die viele hundert Meter über mir den Weg zum Pass wiesen und nach dessen Überquerung eine Hochebene folgte. Auf dieser war ich alleine unterwegs und irgendwann blieb ich stehen, schaltete meine Stirnlampe aus und alles versank in Dunkelheit. Ich blickte nach oben in den faszinierenden, von keinem elektrischen Licht gestörten, Sternenhimmel und fragte mich kurz was da draußen eigentlich ist. Aber viel Zeit zum Träumen ließ ich mir nicht und ich lief weiter zum Saflischpass nach dem ein langer Downhill folgte gefolgt von einem weiteren langen Uphill.

VP Fleschbode KM 71

Im Morgengrauen erreichte ich ziemlich entkräftet eine VP kurz vor Nanzlicke (2602 m) die aber nur mit dem aller nötigsten ausgestattet war. Während des Sonnenaufgangs ging es noch ein wenig auf und ab und nach einem weiteren Downhill erreichte ich die Lifebase 2 in Eisten bei 105 km zur Mittagszeit.

Tag 2: Zwei Nächte ohne Schlaf

In Eisten gönnte ich mir eine Dusche und rollte meinen Schlafsack auf einen der vielen Matratzen aus, die in einer Turnhalle für uns ausgelegt waren. Ich wollte 2,5h schlafen wachte aber nach 15 Minuten wieder auf. Adrenalin gepaart mit einer Lautstärke von umherlaufenden Menschen machten ein weiterschlafen nicht möglich aber ich döste noch eine Stunde vor mich her bevor ich aufgab meine Sachen zusammenpackte noch etwas aß, meine Flaschen auffüllte und mich gedanklich auf die nächsten 52 km einstellte bis zur Lifebase 3 in Grimentz. Nach einem ersten kleineren Berg erreichte ich St Niklaus am Abend und es dämmerte bereits. Kurz nachdem ich den Ort verlassen hatte und der Uphill anfing, entdeckte ich einen Steinbock der mitten auf dem Trail stand und mich nicht vorbeiließ. Ich wollte dem Tier nicht zu nahe kommen und so standen wir eine Weile dumm herum bis der Steinbock schließlich den Weg freigab. Weiter auf dem Weg nach oben wollte ich meinen Rucksack umpacken und 50 m vor mir sah ich zwei Bänke stehen an denen ich kurz anhalten wollte. Dort angekommen waren jedoch keine Bänke und nur der normale Weg und ich wunderte, was ich hier gesehen hatte. Ein weiteres Mal später in der Nacht sah ich ein Rentier mit einem Einhorn auf dessen Spitze eine der roten Wegmarkierungsflaggen gesetzt war…

Von St Niklaus aus war das nächste Ziel der Augstbordpass auf 2892 m. Nach einer VP davor fing es an sehr technisch zu werden und ich musste über und zwischen viel Fels bei Dunkelheit den Weg nach oben laufen und erklettern. Da es bereits meine zweite Nacht ohne Schlaf war wurde ich sehr müde und sich einfach auf den vermeintlich weichen Boden zu legen und dort eine Weile zu schlafen wurde plötzlich verlockend dem ich aber nicht nachgab.

Aufstieg zum Augstbordpass

Ich war alleine aber vor und nach mir entdeckte ich immer wieder Stirnlampen, welche mich nicht ganz so einsam fühlen ließen. Ich überholte noch einen weiteren Läufer kurz vor dem Pass und über diesen darüber brachte uns ein Downhill zur Bergkäserei Bluömatt welche als VP diente.

VP Bluömatt KM 139

Hier gab es Schlafmöglichkeiten, welche ich zum Glück nicht in Anspruch nahm und stattdessen den letzten Berg Forclettaz der mich von LB3 trennte, angriff. Es fing leicht zum Regnen an aber ein weniger technischer Uphill als der davor brachten mich trotz meiner Müdigkeit über den Berg aber unten im Tal angelangt zog sich der Weg nach Grimentz sehr und ich holte nochmal alle meine Kräfte zusammen um so schnell wie möglich zu einer ersehnten Dusche und ein paar Stunden schlaf zu kommen.

Tag 3: Hilfe kommt

Ich kam gegen 07:00 und 45 Stunden im Rennen an LB3 bei KM 157 an, welche eine Art Herberge war, packte meinen Schlafsack in einem Stockbett-Zimmer aus wo noch ein anderer Läufer am Schlafen war und wollte bis 12:30 ruhen. Weiterhin viel zu aufgedreht wachte ich um 9:30 wieder auf und mir war klar, dass ich nicht wieder einschlafen würde.

Ab LB3 sollte ich Unterstützung bekommen. Meine Schwester Annika hatte sich angeboten mich für einige Tage während des Laufs zu supporten und wartete bereits in der LB auf mich. Ich rief Sie an und Sie half mir gerade meine Sachen zu packen als eine Mitarbeiterin von SwissPeaks hereinschaute und mir mit 12 Stunden Zeitstrafe drohte da Support nur außerhalb der Schlafplätze der Läufer erlaubt sei. Also packte ich alleine um, erinnerte mich daran das man eigentlich mehrmals am Tag seine Zähne putzt und nicht alle 3 Tage, und ging anschließend runter in den Essenssaal. Vor dem Frühstück genehmigte ich mir eine Massage, Annika bereitete mir währenddessen ein Frühstück vor und wir unterhielten uns während ich frühstückte und wunderten uns darüber das ich noch in einer Verhältnismäßig guten Verfassung war. Ich hatte weder Blasen noch Muskelkater nur die Müdigkeit machte mir zu schaffen. Ich sah die Japanerin Ayako von vorletzter Nacht wieder mit getapten/verbundenen Fußsohlen, da sich wohl bei Ihr erste Wunden und Blasen bildeten und ich fragte mich wie weit Sie damit noch laufen konnte.

Das erste Ziel war der Stausee Lac de Moiry zu Fuß des Moirygletscher. Ich stieg ohne große Mühe seitlich vom Staudamm, der den See zurückhielt nach oben und konnte den wunderschönen Ausblick eine Zeitlang genießen bevor ich kurze Zeit später die erste VP des Tages erreichte, bei der uns Pancakes serviert wurden. Von dieser ging es auf typischen Bergwegen hoch auf den Col de Torrent auf 2916 m.

Lac de Moiry

Ein ziemlich anstrengender Downhill runter nach Evolene erwartete mich bei dem ich mich einmal verlief und einige Minuten verlor. Aber dafür sah ich ein erstes Murmeltier auf dem Trip. Unten in Evolene aß ich an der VP zu Mittag und machte mich, nachdem ich weiteres Mal eine Abzweigung verpasste, auf dem Weg zum Col de la Meina.

Kurz vor dem Aufstieg erfasste mich eine starke Müdigkeit die einige Minuten anhielt. Der Aufstieg nach Col de la Meina empfand ich als steil und lange aber oben angekommen wurde ich mit einem grandiosen Ausblick auf den Lac des Dix belohnt. Es war früher Abend und in mir stieg die Hoffnung das ich LB4 in Thyon gegen 22:00 erreichen konnte und ein richtiger Nachtschlaf auf mich wartete, den ich dringend brauchte auch, weil zwischen LB4 und LB5 83 km lagen. Während des Downhills fragte ich mich wann sich denn meine Knie oder Muskeln melden würde aber bisher gaben diese noch keine Beschwerden ab.

Im Wald hörte plötzlich die Streckenmarkierung auf und nachdem ich für einige Zeit keine Fähnchen mehr gesehen hatte, kehrte ich verärgert um. Eine Gruppe von Läufern kam mir entgegen und wir diskutierten welcher Weg den nun der richtige wäre. Aber der Weg, den ich gewählt hatte, schien doch der richtige sein und es stellte sich heraus das die Markierung einfach auf 1 km fehlte. Im Tal angekommen mussten wir einige Kilometer die Straße entlanglaufen bis es in den nächsten Anstieg ging.

Es war bereits 20:30 ich war todmüde und wollte nur noch schlafen. Ich hatte einen einfachen Anstieg bis zur LB4 erwartet wurde aber enttäuscht. Es ging 700 hm gefühlt vertikal nach oben und ich gab nochmal alles. Völlig fertig oben angekommen sagte mir meine Karte des jetzt keine Höhenmeter mehr zu erwarten waren und es nur noch 3-4 km flach zur LB wären. Die Karte sagte nicht das es sich hierbei um einen schmalen Pfad handelte, bei dem man sich keinen Fehltritt erlauben durfte, wenn man nicht nach unten rechts in die Dunkelheit fliegen wollte.

So war an Tempomachen nicht zu denken und ich musste mir alle Mühe geben heil über diesen Pfad zu kommen. Hinter mir stapfte ein Mitläufer aus Kasachstan hinterher und er schlug vor Musik anzumachen, die uns vom einschlafen abhalten sollte. So liefen wir mit Kasachstanischer Rockmusik nach Thyon in LB4 ein wo Annika bereits auf mich wartete.

LB 4 Thyon KM 204

Nach einem Abendessen & Dusche wollte ich mich endlich hinlegen als mir eine Mitarbeiterin erklärte das aufgrund von zu wenig Betten auf zu viele Läufer die Schlafzeit auf 2 Stunden begrenzt sei und zeigte auf ein Schild vor dem Schlaflager „Max. Sleeptime 2 hours“. Meine Enttäuschung war gewaltig wurde doch in der Rennbeschreibung verkündet das es in den Lifebases keine Limitierung, abgesehen der Cut-off Zeit, der Schlafenszeit gab und ich erklärte der Mitarbeiterin fast verzweifelt, dass ich nun seit 60 Stunden auf den Beinen war mit nur 2,5 Stunden Schlaf und nicht wüsste wie ich die 83 km zwischen LB4 und 5 schaffen sollte, wenn ich jetzt nicht mindestens 4–5 Stunden schlief. Nach einer längeren Diskussion wurde mir ein Schlafplatz in einer Halle angeboten die wohl für die „Langschläfer“ gedacht sei. Ich willigte ein, und stapfte besagter Frau durch eine Wiese hinterher mit meinem ganzen Gepäck im Arm. Sie führte mich in eine große Gerätehalle wo zwischen diversen Landschaftsmaschinen 20 – 30 Matratzen lagen von denen aber nur wenige besetzt waren. Der letzte Anstieg zur LB, die Diskussion um den Schlafplatz, sowie die wenig vertraute Schlafumgebung hatten mich psychisch ganz schön mitgenommen und ich versank in einen sehr unruhigen Schlaf. Ich erinnere mich an sehr komische Träume, die mir Angst machten. Trotzdem schaffte ich es immerhin von Mitternacht bis 6 Uhr früh am nächsten Tag zu schlafen.

Tag 4: Zwischen Zombieläufern und einer dritten Nacht

Angst holte mich aus dem Schlaf hervor, auch wenn ich nicht wusste wovor. Ich zwang mich aufzustehen, rollte meinen Schlafsack zusammen und lief leicht verwirrt aus der Halle rüber zur Berghütte die als LB diente. Dort gab ich meine Follower-Tasche zurück und begab mich zum Frühstück. Ich stand zitternd vor dem Buffet und schaffte es nur mit Mühe mir einen Kaffee und Müsli zu machen. Bei mir hatte sich eine erste Blase am linken Fuß gebildet, die ich behandeln lassen musste und auch die Ayako sah ich wieder die in keiner guten Verfassung war. Marcel der 660er-Läufer, den ich beim Check-in in Fiesch getroffen hatte, traf gerade ein und war sichtlich erschöpft. Ich hatte damit gerechnet das ich durch die lange Pause eine Menge Plätze verloren hätte aber ich sah viele bekannte Gesichter.

Nach fast 8 Stunden Pause hieß das erste Ziel für den Tag Col de Chassoure auf 2743 m. Auf guten laufbaren Wegen ging es zur ersten VP und von da aus auf technisch anspruchsvolleren Wegen hoch und die aufgehende Sonne und die Bewegung ließen meinen Angstzustand vergehen. Ich ließ noch 2 Läufer hinter mir bevor ich den Bergpass erreichte.

Aufstieg zum Col de Chassoure
Aussicht vom Col de Chassoure

Anschließend wieder ein langer Downhill, ich unterhielt mich mit einem Schweizer ließ aber auch ihn zurück und nahm nochmal Tempo auf. Kurz vor der VP in Lourtier kam ich an einem Wasserfall vorbei in dem Ayako kniete, um wohl Ihre Füße abzukühlen. In der VP stellte mir Annika ein Mittagessen zusammen und nach einer kurzen Pause ging es weiter für mich. Es folgte eine kurzer aber sehr steiler Aufstieg zur nächsten VP, in der mich meine seit gestern aufkommenden Rückenschmerzen plagten. Diese resultierten aus meinem durchgeschwitztem Rücken, auf dem der Laufrucksack lag, und durch die Aufstiege immer wieder unterkühlte. Ich versuchte den Laufrucksack vorne zu tragen, um meinen Rücken trocknen zu lassen, was aber nur bedingt funktionierte. Ablenkung bot eine Unterhaltung mit einem Italiener der am 660er teilnahm, Luca PAPI einem professionellen Bergläufer wie ich später erfahren sollte, und beklagte mich bei ihm über mein Rückenleiden konnte aber sein Tempo aufgrund meines verkehrt herum geschnallten Rucksack nicht halten und lief so die meiste Zeit alleine hoch zum Mont Brûlé.

Kurz vor dem Gipfel holte ich den Engländer Gavin ein der keinen fitten Eindruck machte, nur sehr langsam wanderte und sein Gesichtsausdruck mich an einen Schlaganfallpatienten erinnerte. Er erzählte mir das er in den letzten LBs aufgrund von schnarchenden Mitläufern nicht schlafen konnte und so seit sonntags früh nur 1,5 h geschlafen hatte aber nun bei der nächsten VP in Prassurny unbedingt für ein paar Stunden ruhen musste.

Kurz vor Mont Brûlè
Trail nach Prassurny

Oben angekommen wurde ich mit einem wunderschönen Ausblick bis runter ins Tal belohnt in welches ich knapp 1800 Höhenmeter absteigen musste. Ein ausgesetzter Pfad führte mich für einige hunderte Meter nach unten und endete an einer gut ausgebauten Bergstraße. Auf dieser holte mich plötzlich Gavin wieder ein und zusammen liefen wir als ob das Rennen gerade erst angefangen hätte in einem viel zu hohen Tempo die Trails runter bis Prassurny bei km 257.

Wir kamen gegen 20:30 bei der VP an und es gab hier tatsächlich Schlafplätze für uns Läufer. Ich hatte über 18 h Vorsprung auf die Cut-off Zeit und jetzt ein Nickerchen klang zu schön, um diesem zu widerstehen, anstatt mich den anderen Läufern anzuschließen die in die Nacht hinein liefen. Nach dem Essen gab ich den Volunteers Bescheid, das ich gerne schlafen würde und ich wurde zu einem Schlaflager geführt, das aus mehreren Feldbetten bestand und voll mit anderen Läufern war. In den Lifebases hatten wir Duschen und Wechselkleidung zur Verfügung und, bis auf einmal in LB2, auch immer richtige Betten. Hier musste ich mich wie ich war auf das Feldbett legen mit einer gebrauchten Decke. Mein Puls war ziemlich weit oben und ich lag in einer Mischung aus Schweiß und Sonnencreme da. Noch dazukam, dass ich meine Laufkleidung seit LB3 anhatte und mir viel auf wie erbärmlich ich stank und fing an mich vor mir selbst zu ekeln. Die Feldbetten knirschten laut bei jeder Bewegung und so lag ich da versuchte meinen Puls zu verlangsamen, was mir nach einer Weile auch gelang. Schlafen ging nicht, aber ich ruhte mich bis 22:00 aus. Ich verließ die VP um 22:30 und ärgerte mich darüber das ich nicht den Läufern gefolgt war und daher alleine durch die Nacht über den Fenêtre d’Arpette und Mont de l’Arpille musste. Unten im Essbereich entdeckte ich noch den italienischen Profiläufer, der über einen Tisch gebeugt schlief.

Ich beschloss kurz auf das GPS zu schauen um zu sehen, wer vor mir war und wurde aber direkt enttäuscht. Es waren nur wenige Läufer zwischen mir und LB5 und die meisten zu weit entfernt. Jedoch entdecke ich einen Läufer ca. 2 km vor mir und ich beschloss diesen einzuholen, um mit ihm ein Stück zu laufen. Also fing ich wieder an Tempo zu machen, lief durch Champex-Lac am See entlang welchen ich durch die Livestreams vom UTMB, der eine Woche vor uns stattgefunden hatte, gut kannte und hätte gerne alles einmal bei Tageslicht gesehen. Nach einiger Zeit im Wald sah ich den Strahl einer Stirnlampe vor mir und schloss zu besagtem Läufer auf. Von hinten fiel mir schnell sein nach links abknickender Oberkörper auf und fragte ihn auf Englisch wie es ihm gehe und bekam nur ein „It’s OK“ zu hören. Es handelte sich um einen älteren Franzosen der mit höchsten Wiederwillen Englisch sprach, und den Rekord an Schlafmangel von Gavin gebrochen hatte da er jetzt in die 4te Nacht mit nur 1 Stunde schlaf marschierte, daher auch seine Rumpfinstabilität. „Don’t do that, it’s awful“ wurde mir noch als Tipp mitgegeben. Konnte er auf gerader Strecke noch einigermaßen zügig wandern, brach er im Uphill völlig ein und fing an zu fluchen. Ich überlegte, ob ich ihn einfach stehen lassen konnte, schließlich war er nicht mein Problem aber ich hatte Angst, das er die Nacht ohne Hilfe nicht überstehen würde und so beschloss ich ihn bis zur nächsten VP zu begleiten. Es fing an zu Regnen und dichter Nebel hüllte uns ein während des Aufstiegs im Schneckentempo. Bald war die Sicht auf 1–2 Meter begrenzt und ich hätte auch ohne Begleitung nicht viel schneller laufen können. Ich drehte mich immer wieder um in Sorge plötzlich keine Stirnlampe hinter mir zu sehen, aber der Franzose schaffte es irgendwie hinter mir zu bleiben und nicht ins Nirgendwo zu laufen.

Wir erreichten die VP Col de la Forclaz gegen 03:00, nachdem wir zum Abschluss noch eine verschlammte Wiese herunterrutschen mussten und ich trat, vorbei an einem Lagerfeuer und ein paar Zelten, in eine urige Berghütte ein. In der Mitte war ein Tisch aufgestellt, der mit einer Vielzahl von Speisen ausgestattet war und an 2 Steinherden waren Volunteers fleißig am Kochen. Ich erklärte einem davon die Situation von meinem Begleiter, der daraufhin in ein Nebengebäude geführt wurde. In der Hütte traf ich Florian und Julie die in Aufbruchstimmung waren und trotz der verlockenden Wärme mit all dem Essen beschloss ich mich Ihnen anzuschließen, um die restlichen 12 km bis LB5 hinter mich zu bringen. Eine Volunteer bemerkte, dass ich direkt wieder loswollte, und bot mir noch diverse Gerichte an aber ich war zu fertig, um wirklich etwas davon wahrzunehmen, was sie sagte. Aber sie trug mir als ich schon aus der Tür hinaus war noch warmes Gebäck hinterher was ich dankbar entgegennahm und welches wirklich köstlich schmeckte.

Zu dritt liefen wir den letzten Uphill hoch. Florian kam aus der Nähe von Frankfurt und war der erste Deutsche, den ich während des Rennens traf und es war schön sich mal für eine Weile so zu unterhalten. Julie war Französin und es war Ihr dritter Versuch den SwissPeaks 360 zu finishen, jedoch hatte Sie wohl schon seit einiger Zeit Probleme mit Blasen und schon nach kurzer Zeit mussten wir anhalten da Julie das weinen anfing nicht mehr laufen konnte. Eine kurze Pause mit einem Verbandswechsel später ging es weiter zum Mont de l’Arpille hinaus. Oben angekommen konnten wir die Lichter der Zivilisation sehen, welche tief unter uns lagen. Ein gefühlt viel zu langer Downhill empfing uns, aber eine längere Unterhaltung mit Julie lenkte mich gut ab, und irgendwann erreichten wir am Fuß eines Flusses das Tal, dem wir noch ein kurzes Stück folgten, während es bereits wieder hell wurde. Noch 200 hm hoch nach Salvan und wir erreichten Überglücklich Lifebase 5 bei km 287. Die Lifebase erinnerte an eine Bunkeranlage und war vermutlich auch eine. Es gab nur einen Eingang und nirgendwo Fenster. Ich war wirklich froh aus meinen stinkenden Sachen herauszukommen und stellte mich 15 Minuten unter die Dusche. Nach einem Frühstück aus Pasta suchte ich mir ein abgelegenes Stockbett und schlief um 08:30 ein.

Tag 5: Die Gemeinschaft zerbricht

Um 09:40 wachte ich wieder auf. Noch sehr verschlafen irrte ich durch die Zimmer umher, und wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Meine Füße meldeten sich, die ich mir in der letzten Nacht stellenweise Wund gelaufen hatte und zwischen Fußpflege und Massage schlief ich auf der Behandlungsliege wieder ein. Annika hatte einige Sachen in der Zwischenzeit für mich organisiert und half mir ein weiteres Mal beim Packen. Während eines schnellen Frühstücks bestehend aus Nudeln traf ich zufällig Florian und Julie wieder und so liefen wir zusammen los, hinein in den ersten regnerischen Tag des Rennens.

LB 5 Salvan

Der erste Gipfel des Tages wurde uns aufgrund der Wetterverhältnisse erspart worüber ich nicht traurig war und so ging es über eine Alternativ niedrigere Route zur VP Salanfe bei km 299. Julie hatte von Anfang an Schmerzen und lief sehr verhalten an. Mir wurde später gesagt das Sie unterschreiben musste gegen ärztlichen Rat weiterzulaufen. Als ich Ihr eine Schmerztablette anbot, nahm Sie diese ohne zu zögern an. So ging es recht gemächlich hoch zur VP die an einen großen Stausee gelegen war. Die Volunteers, die uns Pizzastücke servierten, warnten uns vor dem nächsten Berg, dem Col de Susanfe. Die Wege sollen sehr ausgesetzt sein und jetzt da noch der Regen hinzukam sollten wir bitte aufpassen. Der Weg nach oben erwies tatsächlich zunehmend als ausgesetzt und rutschig, und so kuschelte ich mit dem Gras und den Felsen zu meiner rechten Seite um möglichst weit weg vom Abgrund links von mir zu sein. Wir mussten über Fels klettern, der Weg verwandelte sich immer wieder in einen Fluss, ich war durchnässt und bei Wind und Regen wurde mir immer kälter. Während wir uns zum Gipfel arbeiteten, holte uns Clemens ein, ein 32-jähriger Franzose, der in Deutschland lebte und das Rennen letztes Jahr schon finishen konnte. Er blieb bei uns und es tat gut jemand dabei zu haben der wusste welche Wege vor uns lagen. Am Gipfel angekommen war es sehr windig und es regnete in Strömen. Mir war sehr kalt daher ich ließ die anderen und den Gipfel so schnell wie möglich hinter mir und lief einige hundert Meter voraus um, unterhalb eines großen Felsens der etwas Wind und Regenschutz bot, mir warme Sachen anzuziehen.

Auf dem Weg nach unten kamen wir an einer Berghütte vorbei, die nicht zu SwissPeaks gehörte und wir machten Pause da es immer noch regnete um uns aufzuwärmen. Clemens lud zu Kakao und Kuchen ein und wir hängten unsere Sachen zum Trocknen auf. Eine halbe Stunde später ging es weiter, die Kleidung war trockener aber Strümpfe und Schuhe waren klitschnass. Es ging technisch recht anspruchsvoll, teilweise mit Kletterpassagen, weiter nach unten. 2 km vor der VP Barme bei KM 314 schrie Julie plötzlich auf und konnte nicht mehr weiterlaufen. Knickbewegungen mit Ihrem rechten Bein waren nicht mehr möglich, und entsprechend mussten wir anhalten. Clemens setzte einen Notruf ab, aber aufgrund der Wetterverhältnisse konnte keine Helikopter geschickt werden, aber ein Arzt sollte uns von der nächsten VP aus entgegenkommen. Also lud ich Stecken und Gepäck der anderen auf mich, während Florian und Clemens zusammen versuchten Julie über einen rutschigen Bergpfad weiter nach unten zu tragen. Wir wechselten uns beim Tragen ab, kamen aber nicht wirklich vorwärts. Immerhin konnte Julie nach einiger Zeit halb selbstständig mit durchgestrecktem Bein „gehen“. So kamen wir ein Stückchenweise vorwärts bis uns bei einer verlassenen Hütte ein Rettungsteam bestehend aus 2 Bergrettern entgegenkam. Sie untersuchten Julie und sagten uns das wir ab hier aus weiterlaufen könnten und Sie Julie übernehmen würden. Wir verabschiedeten uns, und machten uns auf das kurze aber rutschige Stück zur VP. Julie tat mir sehr leid da Sie so kurz vor Ihrem Ziel abbrechen musste.

Es wurde bereits wieder Dunkel und bis nach Morgins zur letzten LB waren es noch 20 KM. Nach einer kurzen Rast, in der ich so viele Pfannkuchen wie möglich aß, ging es weiter und ich feuerte die anderen an ein letztes Mal zu pushen. So ging es schnell 300 hm einen kleinen Berg hoch, vielleicht etwas zu schnell. Auf dem anschließenden Weg nach unten standen wir stellenweise Knöcheltief im Schlamm. Ich resignierte die Weg Verhältnisse einfach und so kamen wir rutschend und stolpernd am Fuße des Portes de I’hiver an den wir wieder hoch mussten. Der Weg nach oben war eine einfache Bergstraße aber keiner von uns war trocken geblieben, und wir fingen in unseren nassen Sachen das Frieren an.

Wir beschlossen daher nochmal Tempo zu machen und ich lief gefühlt mit einer 5er-Pace los stellte aber fest, dass ich zunehmend Schmerzen im linken Knie bekam und auf die Bremse treten musste. Auch Clemens, der zuvor noch angekündigt hatte, Tempo machen wollen ging es zunehmend schlechter. Über den Pass darüber, erwarteten wir nach Clemens Berichten, eine ausgebaute Straße die uns bis zur LB bringen sollte. Wir wurden enttäuscht und die roten SwissPeaks Fahnen führten uns zu einem verschlammten Trail der in die bodenlose Dunkelheit führte. Nur ganz weit unten in der Ferne konnte ich eine Stirnlampe ausmachen und dabei sollte die LB doch nur 5 km entfernt sein? So kletterten wir mehr als laufend den Trail hinunter bis zu einem Waldweg der uns die letzten 3 km bis zu LB führen sollte.

Clemens
Trail nach Morgins
Florian geht es nicht gut

Florian hatte ein geschwollenes rechtes Bein, Clemens eine noch nicht diagnostizierte Thrombose ebenfalls im Rechten Bein und ich hatte starke Knieschmerzen und wimmerte vor mich hin, wenn ich auf eine der Blasen auftrat, die sich mittlerweile gebildet hatten. So liefen wir irgendwie den Waldweg entlang bis wir endlich die letzte Lifebase um 02:30 in Morgins bei KM 335 erreichten, wo schon Florians Familie und Annika auf uns warteten. Die Lifebase erwies sich als schönes Hotel mit einer großen Empfangshalle. Der Hotelboden mit einer Folie als Schutz vor uns Läufern bedeckt. Ich war sehr froh aus meinen nassen Sachen herauszukommen und unter die Dusche zu springen. Meine Füße steckten seit 14 Stunden in völlig nassen Schuhen und waren entsprechend aufgeweicht so das die Fußpflege diese, während ich ein Nachtmahl zu mir nahm, in Ethanol getränkte Kompressen steckte. Vor dem Schlafengehen wurden meine Füße behandelt, verbunden, und anschließend massiert während wieder mal auf der Behandlungsliege einschlief. Als Belohnung für den harten Tag wartete ein richtiges Hotelzimmer auf mich in dem ich um 03:15 das Licht ausmachte.

Tag 6: Alles hat ein Ende

Ich erwachte um 06:30 und fühlte mich einigermaßen ok. Ich lief runter in den Speisesaal wo Florian und Clemens gerade beim Packen waren. Ich genehmigte mir ein schnelles Frühstück und sah einige bekannte Läufer wieder die teilw. gerade erst ankamen. Ein paar Tische von mir entfernt entdeckte ich zu meiner Überraschung Ayako aber Ihr Gesicht war vor Schmerzen verzehrt, was mich schaudern ließ. Der Start verzögerte sich etwas da sich Clemens nochmal einer Physiotherapie unterzog aber um 08:00 war dann Abfahrt und zu dritt liefen wir in den letzten Tag hinein der uns bei schönstem Wetter Empfang. Ich hoffte das wir alle zusammen ins Ziel kommen würden, sollte aber enttäuscht werden.

Wir hatten die höchsten Gipfel und die meisten Höhenmeter hinter uns gelassen und die letzten 45 km sollte es nicht über 2000 hm gehen. So liefen wir auf leichten Wegen einige hundert Höhenmeter hoch zur ersten VP die bereits nach 6 km auf uns wartetet. Von dort aus ging es weiter zum Tour de Don auf 1998 m und hinter uns erschien der Mount Blanc in seiner weißen Pracht um uns zu verabschieden. Ein wunderschöner Ausblick erwartetet uns oben angekommen, mit einer Wolkendecke über dem Tal. Ab hier ging es einen Grad entlang, teilweise noch sehr schlammig. Ich musste vor Schmerzen die Zähne zusammenbeißen und wir kamen erstmal nur langsam voran. Den Grad hinter uns gelassen ging über in eine Bergwiese weiter Richtung VP Chalet de Blansex. Wir liefen ein Stück voraus und warteten an einer Kreuzung auf Clemens, der hinter uns geblieben war. Nachdem Clemens um die Ecke kam, erklärte er das er sich jetzt eine Stunde ausruhen müsse und nicht mit uns weiterlaufen würde. Ich fragte mich in dem Moment, ob es überhaupt einer von uns noch ins Ziel schaffen würde und so blieben nur Florian und ich übrig.

Also wir an der VP Chalet de Blansex bei KM 354 ankamen, gönnte sich Florian zum Mittagessen Raclette mit Bier + Ibu und wir trafen auf die führende Frau des SwissPeaks 170, der gestern früh gestartet war. Die Volunteers sorgten für gute Stimmung und ein selbst gemaltes Schild besagte das noch 800 hm Uphill, 1900 hm Downhill und 27 km Strecke bis zum Ziel auf uns warteten. Wir verließen die VP und es folgte ein Downhill den ich mit meinen Schmerzen nur langsam angehen und Florians Tempo nicht halten konnte. So war ich die nächsten 6 Kilometer alleine unterwegs, traf auf der Hälfte Luca PAPI wieder, der wohl gerade von einem Schläfchen auf einer Parkbank erwacht war, gab Ihm ein High-Five und machte mich auf den Aufstieg zur vorletzten VP Taney bei km 360. Oben angekommen traf ich auf Florian und Annika. Es folgte eine kurze Pause bei der Ich eine sonderbare Art Brot mit Pilzen aß und anschließend kam der letzte Anstieg zum Pas de Lovenex auf 1850m. Auf dem Weg nach oben diskutierten wir wie leicht doch die selbstverständlichsten Alltagsdinge zum schönsten Luxus werden konnten bis hin zu Theorien über den Aufstieg und Abstieg von diversen Kulturen. Als wir schließlich oben ankamen konnte ich meinen ersten Ausblick auf den Genfer See genießen.

Col de la Croix 1757 m – Erster Ausblick auf das Ziel

Nach unten ging es erstmal wieder über Stock und Stein und ich wimmerte und fluchte vor Schmerzen, beschloss aber irgendwann diese zu ignorieren und einfach nur noch so gut es ging Tempo zu machen, in der Hoffnung das mein Körper diesen aller letzten Abstieg noch mitmachen würde. Auf dem Weg nach unten trafen wir den sichtlich von Schmerzen gezeichneten Läufer Kelinton aus Guatemala der am Wegesrand saß. Wir fragen ihn, ob er etwas bräuchte, er verneinte. Ich klatschte ihn ab mit dem Kommentar „you can do it“ und wir liefen immer schneller weiter nach unten. Der Trail endete und wir konnten eine Weile eine befestigte Straße entlanglaufen bevor es wieder in einem Wald Pfad weiterging, indem Florian ausrutsche und sich in die Brennesel setzte. Die letzte VP Le Grand Pre tauchte vor uns auf und es gab Fisch mit Bier, für mich natürlich Alkoholfrei.

Die letzten 10 km ging es durch ein Waldstück, erst nochmal ein Stück bergauf und anschließend über einen technisch anspruchsvollen Wald Pfad, über den ich mehr stolperte, als lief, und der mir wie einer aller letzter Hohn der Organisatoren vorkam, aber schließlich wieder laufbar wurde. Plötzlich wurde aus dem Pfad eine breite Forststraße die uns, bereits alle Schmerzen vergessen, nach Le Bourveret führte. Dort ging es durch die Stadt und vom Beifall der Menschen an den Cafés, auf der Straße und von den Balkons begleitet liefen wir zum Hafen, welcher das Ziel unserer Reise war und beendeten das Rennen gleichzeitig in 129 h 01 min 02 sec.

Ich setzte mich in einen der Liegestühle zwischen Ziel und See und konnte noch nicht richtig glauben, dass ich jetzt nicht mehr weiterlaufen musste. Annika besorgte mir einen Burger mit fettigen Pommes und wir verweilten noch einige Zeit an der Ziellinie. Micheal kam kurz vorbei den ich in Fiesch bei Check-in getroffen hatte und der unter den Top 10 Läufern mitgelaufen war aber das Rennen bei km 150 aufgrund einer Schulterverletzung verlassen musste. Eine Stunde später und nur 3 Plätze hinter mir kam dann plötzlich auch Ayako ins Ziel. Ich hatte keine 20 Worte mit dieser Frau gewechselt aber dadurch, das ich Ihren Leidensweg mitverfolgen konnte war ich tief beeindruckt von Ihrem Willen jede Art von Schmerz zu ertragen und jedes Opfer zu bringen für Ihr eines großes Ziel, und ich Sie daher in diesem Bericht erwähnen wollte. Aber ich bin mir sicher, dass Sie die nächsten Wochen nicht mal ans Spazierengehen denken darf.

Auch Marcel kam zwischenzeitlich ins Ziel der einfach mal 680 Kilometer in den Beinen hatte.

Irgendwann machte ich mich auf zur Dusche als mir Clemens entgegenlief, den wir auf dem GPS nicht mehr entdecken konnten. Bei der letzten VP auf KM 370 hatte ein Arzt ihm die Diagnose Thrombose mitgeteilt und ihn mit den Worten „You gamble with your life“ davon überzeugte das Rennen kurz vor der Ziellinie abzubrechen. In der Dusche traf ich nochmal den Läufer aus Guatemala und konnte seine Füße begutachten die nur aus Wunden und Verbänden bestanden und, meiner Meinung nach, einen Besuch im Krankenhaus erforderlich machten.

Wir erfuhren das Julie das Rennen nicht abgebrochen hatte und (wie?) weiterlief. Sie beendete das Rennen nach 143 Stunden mit einer Sehnenscheidenentzündung und Verbrennungen zweiten Grades an 4 Zehen. Florian schrieb mir ein paar Tage später, auf die Frage wie es im gehe, etwas von entzündeter Sehne und Fußhebermuskel.

Und Ich? Ich sitze 5 Tage nachdem ich durch die Ziellinie gelaufen bin, auf der Couch im Büro herum während ich diesen Bericht schreibe und wundere mich wie ich doch so gut durch das Rennen gekommen bin. Die Blasen sind schon fast verheilt nur meine Knie brauchen, nachdem Sie mich äquivalent 3x den Mount Everest hoch und heruntergetragen haben, noch etwas Ruhe und auch sitzt eine gewisse Müdigkeit noch tief in mir drinnen so das der Weg vom Bett ins Büro mir erstmal ausreicht.

Zum Schluss möchte ich mich bedanken:

– Bei Annika, die extra in die Schweiz gefahren ist, an jeder Lifebase bereitstand und mir dort das Leben erheblich erleichtert hat.
– Bei den Organisatoren und Volunteers von SwissPeaks die dieses einzigartige Rennen erst möglich gemacht, und Tag und Nacht Ihr Bestes gegeben, haben um uns durchzubringen.
– Bei allen anderen Läufern die sich mit mir auf den Weg gemacht und diese einzigartigen Erlebnisse und Erinnerungen kreierten.
– Bei meinen Trainingspartnern vom PTSV und beim Trainer Toni für die gemeinsamen Trainingseinheiten die mich fit für diesen Lauf gemacht haben.

Keep moving

Euer
Jonas